Ethik-Fachtagung der Caritas: Wie sieht ethische Führung in digitalen hybriden Systemen aus?
Augsburg, 19.03.2019 (pca). Gut Menschen zu führen, sie als Führungskraft dazu zu bringen, die Werte und Ziele einer Organisation oder Unternehmens im Alltag im Blick zu behalten und umzusetzen, das ist ein Dauerthema, das Wirtschaft, Politik, aber auch die kirchlichen Organisationen nicht nur erst seit gestern umtreibt. Doch die Schlagworte Digitalisierung, Globalisierung, demographischer Wandel, Arbeitswelt 4.0 und Digital Leadership überlagern zunehmend die Diskussion, bedeuten sie doch einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel. Literatur dazu gibt es inzwischen ohne Ende. Beim 5. Fachtag des Ethikkomitees des Caritasverbandes suchten nun rund 100 Führungskräfte aus der großen Caritasfamilie eine Antwort auf die Frage, wie heute vor dem christlichen Wertehintergrund gute Führung aussehen soll.
"Die einfache und so klare Antwort, man müsse es einfach wie Jesus machen, braucht eine Übersetzungsarbeit in alltägliches Handeln", betonte Dietmar Bauer, Sozialbereichsleiter des Diözesan-Caritasverbandes in seiner Begrüßung. In den Augen von Andreas Bader, des Vorsitzenden des Ethikkomitees, könne dies nicht gelingen, wenn die "Fähigkeit des Zuhörens" nicht gepflegt, sondern verlernt wird.
Eine sachliche Analyse der Situation, vor der sich die Caritas in der Arbeitswelt schon heute und erst
recht morgen befindet, bot Eva Maria Welskop-Deffaa, Vorstand Sozial- und Fachpolitik des Deutschen Caritasverbandes. Wenn die Caritas auch künftig ein "tragfähiges Gerüst der sozialen Infrastruktur" sein wolle, müsse sie lernen, ethische Führung von denen her zu denken, "die wir einstellen und mit denen wir zusammenarbeiten". Die Caritas könne dabei nicht nur auf die vertraglich Beschäftigten schauen, sondern müsse auch auf Freelancer, externe Anbieter und andere Partner blicken. Welskop-Deffaa sprach deshalb von "hybriden Teams". Hier müsse sich ethische Führung in besonderer Weise erweisen.
Mehreren Herausforderungen müsse sich dabei die Caritas stellen. Sie nannte die "Plattformisierung der sozialen Dienstleistungen". Online-Plattformen schaffen schon heute Märkte in Echtzeit, "die fast alles anbieten, was das Herz begehrt". Gerade im Dienstleistungsbereich, auch im sozialen, würden hierbei viele Leistungen angeboten. Welskop-Deffaa sprach von der "Entbetrieblichung der Arbeit", der sich die Caritas nicht entziehen könne. "Wir müssen selbst "plattform-ready" werden", betonte sie. "Wir müssen uns aber gleichzeitig für eine stabile soziale Absicherung einsetzen, um eine Kannibalisierung der sozialen Sicherungssysteme zu verhindern."
Auch die "Robotisierung der Arbeit" dürfe die Caritas nicht einfach hinnehmen. Es sei die Verpflichtung der Caritas, sie so zu gestalten, dass der Roboter sowohl für die Mitarbeitenden z. B. in der Pflege, als auch für die Bedürftigen eine echte Hilfe ist. Wenn heute in der Arbeitswelt der Streetworker mehr als zwei Drittel von ihnen ohne Smartphone unterwegs sind, dann werde das heute schon nicht der "Hybridisierung der Sozialräume", der Vermischung der analogen realen mit der digitalen Welt gerecht. "Die Streetworker von heute müssen die Tweetworker von morgen sein", so das Vorstandsmitglied des Deutschen Caritasverbandes. Unter dem Schlagwort "Instagrammierung politischer Partizipation" warb sie dafür, "die Chancen der sozialen Medien zu nutzen und dabei Sprachrohr jener zu sein, die sich selbst wenig sichtbar und vernehmlich machen können."
Bei allen diesen Herausforderungen, die sich laut Welskop-Deffaa der Caritas stellen, dürfe man nicht den Weg des Alexander des Großen wählen, der den gordischen Knoten einfach mit seinem Schwert durchschlug. Der Theologe und Ethiker Dr. Erny Gillen empfahl vielmehr: "Führen Sie wie Gott!"
Er habe aus dem Chaos des Nichts die Welt geschaffen. "Wir Menschen dürfen nicht vergessen, dass wir aus Chaos heraus entstanden sind." Deshalb solle der Menschen wie Gott den Weg der Entwicklung gehen. Hilfreich sei dabei die Papst-Franziskus-Formel. Vier Sätze umschreiben diese Formel: "Die Zeit ist mehr wert als der Raum." "Die Einheit wiegt mehr als der Konflikt." "Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee." "Das Ganze ist dem Teil übergeordnet." (Vgl. das Apostolische Schreiben von Papst Franzsiskus "Evangelii Gaudium" Nr. 217 - 234) Die darin enthaltenen Gegensätze müsse man als Spannung aushalten, zeige sich doch darin das "Lebendig-Konkrete". Konflikte seien von daher nicht prinzipiell falsch oder unangebracht. Die Einheit von heute sei vielmehr ein Ergebnis der Konflikte von gestern. Die Führungskraft könne dabei "Geburtshelfer eines besseren und freien Menschseins" sein.
Prof. Dr. Alexis Fritz, Moraltheologe an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, wollte keinen "Performer-Typen" beschreiben, der man sein müsse, um in der komplexen digitalisierten Welt eine gute Führungskraft sein zu können. "Vertrauenswürdigkeit" sei das entscheidende Kriterium. Zuverlässigkeit, Kompetenz und Ehrlichkeit seien die drei zentralen Merkmale, an der sie sich messen
lasse. Die exponientiell wachsende Komplexität der durch die Digitalisierung geschaffenen "VUCA - Welt" (VUCA = "Volatility/Unbeständigkeit", "Uncertainty/Unsicherheit", "Complexity/Komplexität" und Ambiguity/Mehrdeutigkeit") mit ihren zunehmenden Unsicherheiten und gewachsenen Widersprüchlichkeiten zwinge die "Notwendigkeit der Vertrauenswürdigkeit" auf. "Wir müssen uns darauf verlassen können, dass in einer Situation richtig gehandelt wird."